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Ich sitze noch in Innsbruck, als das Telefon klingelt. Hias ist dran und
wirkt ganz unruhig, gerade hat er auf der Heimfahrt von Steyr Weißbach passiert
und berichtet vom sternenklaren Himmel, der sich über ihm aufspannt, den kalten Temperaturen und von
Schnee, der auf den Bergen liegt. In diesem Winter ist Schnee eine
Rarität, und Möglichkeiten für Skitouren sind sehr gesucht. Es geht um
ein Tourenziel für Samstag. Vergangenes Wochenende haben wir, beide ganz
überrascht, ausgezeichnete Bedingungen im Spielberg-Gebiet vorgefunden,
darum ist es mehr als logisch, dass wir uns im Gespräch wieder dieser Gegend
zuwenden. Insgeheim sind wir aber auf etwas Längeres aus, darum nehmen
wir uns noch ein paar Stunden Bedenkzeit, um uns auch andere Möglichkeiten zu überlegen.
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Um acht Uhr komme ich schließlich nach Leogang. Nach reiflicher
Unüberlegtheit schlage ich Hias vor, das Ritzenkar zu versuchen, eine
unwahrscheinliche Möglichkeit, die aber erstaunlicherweise Anklang findet! Dass
mein Freund nicht restlos davon überzeugt ist, läßt sich zwar
leicht heraushören, aber "
wenigstens ist ein Gipfel
dabei." Mit ein bißchen Ski-Tragen im Latschengürtel wäre wohl zu rechnen, aber
das sollte uns das Vergnügen, die steile Rinne im Firn hinunterschwingen zu können,
schon wert sein.
Mein Vater runzelt am folgenden Morgen die Stirn, als er von unserem
Tourenziel hört. Zwar will er es mir nicht ausreden, aber ich merke, dass
er es für eine blöde Idee hält. Ich habe Hias versprochen, bevor
er von zuhause wegfährt, von daheim aus einen Blick auf die
Schneeverhältnisse Richtung Reiteralm zu
werfen, und komme ganz schnell zur Erkenntnis: es IST eine blöde Idee,
heute auf's Birnhorn zu gehen. Die vorhandeneSchneemengen kann man im Juli
auch noch finden (*). Dieses Skitourenziel ist für den heutigen Tag
eindeutig zu ehrgeizig! (**)
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Eine Nebenbemerkung meines Vaters, der seinerseits bereits Richtung Spielberg
aufgebrochen ist, erweist sich aber schließlich als
goldrichtig: das Kogelkar müßte ganz gut zu fahren sein, und dieser
Idee kann Hias, den mein Anruf und der Bericht über die aperen Wiesen auf
der Reiteralm noch im Bett liegend erreicht haben, spontan sehr viel
abgewinnen. Somit steht unser Ziel also so gut wie fest: Kogelkar - oder
vielleicht doch die Torscharte? Hias bringt während des sich in die
Länge ziehenden Zustiegs von Hinterthal aus sogar eine dritte Variante in's
Spiel, das Kar, das sich linkerhand von der Torscharte unter den Marterlkopf
zieht, sei sehr schön und lohnend. Der Lokalaugenschein am Beginn des
steilen Anstiegs zur Torscharte festigt dann aber unseren Entschluss, auf den
Marterlkopf zuzusteuern.
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Der gefrorene Schnee trägt gut, doch kann man anhand der existierenden
Spuren ablesen, dass bis vor kurzem in der ganzen Rinne Pulverschnee gelegen
sein muss. Dafür heißt es jetzt im steilen Gelände aufpassen, dass
keine Ausrüstungsgegenstände abhanden kommen. Mit Schaudern erinnere
ich mich an den achtlos in den Hang gesteckten Skistock, der umfiel und sich
Richtung Tal verabschiedete und mich einigermaßen hilflos bei der
Bewältigung des restlichen Aufstiegs zurückließ. Darum will
ich auch den Objektivdeckel meiner Kamera in der Kameratasche sichern, damit
er mir nicht ungeschickterweise aus der Hand fällt, während ich ein
Foto von Hias schieße.
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Fluchend schaue ich dem rollenden, gleitenden und hüpfenden Plastikdeckel
nach, wie er sich immer weiter nach unten Richtung Auslauf begibt. Noch nie
ist mir der Objektivschutz vorher aus der Hand gefallen, erst genau in diesem
Augenblick, als ich ganz besonders darauf aufpassen will, flutscht er mir aus den
Fingern und ist dahin. Sollte es wirklich so sein, dass wir in unserem
Bestreben, einem bestimmten Schicksal zu entkommen, mit allem was wir
tun, diesem genau in die Arme laufen? Hias konnte leider nicht eingreifen und das
runde Stück Plastik aufhalten, dafür war er zu weit weg. Naja,
wenigstens bin ich die Sorge um den Deckel jetzt los und muss ihn auch nicht
mehr bei jedem Bild erst mühsam mit klammen Fingern vom Objektiv abnehmen und ihn
während des Fotografierens krampfhaft in den Händen halten.
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Nachdem wir die letzten paar Meter auf den Gipfel zu Fuß
zurückgelegt haben, sitzen wir nun in der Sonne beim Schidepot und
jausnen. Da um diese Jahreszeit vor der Mittagsstunde nicht mit Firn zu
rechnen ist, haben wir es auch nicht besonders eilig, sondern warten neugierig
auf die nachfolgende Dreierpartie, die just in dem Augenblick am Parkplatz
ankam, als Hias und ich im Begriff waren, aufzubrechen. Ich habe nur
eine Frau im Auto erkannt, Hias ist sich aber sicher, mindestens zwei Damen
gesehen zu haben. Klar, dass wir jetzt neugierig sind, wer denn da den
letzten Hang zu unserem Jausenplatz heraufsteigen würde.
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Tatsächlich finden wir im oberen Teil der Torscharte noch feinsten
Pulverschnee vor! Ein Vergnügen, mit dem nicht zu rechnen war und das uns
lustvolle Schwünge beschert, die sogar Hias zum Juchezn bringen. Die
zweite Hälfte der Abfahrt wartet mit feinem Firn auf, der ein
mindestens ebenso schönes Abfahrtserlebnis bietet wie der Tiefschnee
weiter oben. An etwa der Stelle, wo Hias meinen Objektivdeckel zum letzten mal
gesehen hat, schwinge ich ab, um wenigstens die kleine Chance, das schwarze
Stück Plastik wiederzufinden, wahrzunehmen. Noch bevor ich mir einen
Überblick verschafft habe, werde ich zwischen meinen beiden Schiern des
Deckels ansichtig, der sich im warmen Sonnenlicht bereits ein paar
Zentimeter tief in den Schnee hineingeschmolzen hat. Wie groß ist die
Wahrscheinlichkeit, dass einem so etwas passiert? Ich würde sagen, Null
ist eine gute Näherung! Ein bißchen
fühle ich mich wie das Sonntagskind in der Sage, das den Eingang zum
Schatz im Berg findet, und in der Tat bin ich ja auch ein Sonntagsgeborener...
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