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Der unter Kletterern eher unbekannte Loferer Steinberg birgt eine
Kostbarkeit, die inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus
Berühmtheit erlangt hat. Eine sagenhafte Linie, die durch die steil
aus dem Strubtal aufragende Nordostwand auf den Gipfel des Breithorns
führt. Die Tour wurde im Sommer 2001 von Mitgliedern der HG Stoaberg
eingerichtet, als Idee spukte sie aber schon seit vielen Jahren in Adi
Stockers Vorstellung herum. Wahrscheinlich konnte auch nur er, der
jedes Band, jede Platte, jede Struktur dieser Wand kennt, diese Linie
ausfindig machen. Was diese Tour so aussergewöhnlich macht, ist ihre
Länge: 900 Höhenmeter, bzw. 1500 Klettermeter oder 38
Seillängen. Routen mit weniger als der Hälfte dieser Seillängen
stellen als Tagestour für gewöhnlich schon ein Herausforderung dar,
wieviel mehr also ein Weg dieser Länge! Aber es würde dem Anstieg
keinesfalls gerecht, wenn man ihn nur auf seine Länge reduzieren
würde, allein die Art der Kletterei und die wilde Umgebung machen ihn
zum Kleinod.
Es kursieren eine Menge Geschichten über "Ende Nie", von
Tourenabbrüchen und Ausquerungen in die Gjaidstatt, Warteschlangen am
Einstieg, Steinschlag und Zelten im ausgetrockneten Bachbett, das sich
bei Regen ganz schnell zum reißenden Wildbach verwandelt,
Unwägbarkeiten des Wetters, eine Menge Kurioses und auch
Beängstigendes. Es gibt auf jeden Fall viele Gründe, vor dieser Tour
Respekt zu haben. Es ist der Initiative von Mascht Gimpl zu verdanken,
dass wir vier, Mascht, die Schallner Buam Mathias und Hermann und
Steidl Stefan die Ende Nie dann schließlich doch anpacken. Wir haben
uns einen Wochentag ausgesucht und diese Wahl ist goldrichtig, denn
wir werden an diesem Tag die einzigen in der Wand sein. Aufstehen um 3
Uhr morgen, Abmarsch vom Strubtal um 4.30 Uhr, Ankunft am Einstieg um
6 Uhr. Der zufällig - oder vielleicht weniger zufällig - herumliegende
Müll verrät es bereits: hier ist Ausdauer gefragt. Von "Isostar High
Energy" bis "Power Bar Muscle Blaster" ist jede Energie-Riegel Firma
in Form einer Plastikflasche oder einer Müsliriegel-Verpackung
vertreten. Das gute alte Kasbrot als Energielieferant hat offenbar
ausgedient...
Endlich kurz nach 6 Uhr Einstieg und die Anspannung löst
sich auf den rauhen, wasserzerfressenen Platten sofort auf und macht
dem Gefühl der Befreiung und des Glücks, endlich hier zu sein,
Platz. Ein Verhauer in der dritten Seillänge bremst uns kurzfristig,
aber wir kommen trotzdem zügig voran. Es ist so warm, dass wir im
T-Shirt in der Nordwand klettern können. Die goldenen Hakenlaschen
sind nicht nur Sicherungspunkte, sie sind auch Wegweiser in diesem
Meer von Platten und Bändern, manchmal weist ein roter Pfeil die
Richtung. Die Umgebung ist fantastisch: unter uns das enge Strubtal,
gebenüber das Hochplateau der Loferer Alm und der Steinplatte mit den
weniger ernsten, dafür schwierigen Klettertouren am Urlkopf, hinter
uns der auffällige Zacken des Wirtshörndls... Wir erreichen das
Schuttband gleichzeitig mit den Sonnenstrahlen, endgültig Zeit, sich
die Jacke auszuziehen und etwas zu trinken. Wir wissen gleich: das
Wasser wird nicht reichen. Das Döschen Red Bull mit seinen 0.2 Liter,
das wir zusätzlich eingesteckt haben, wirkt auf einmal ein bißchen
lächerlich, trotzdem setzen wir große Stücke auf die flüssigen
Gummibärli.
Die Seillängen 20 bis 30 bieten verhältnismäßig steile
Kletterei in extrem rauhem Fels, begeisternden Rissen und tiefen
Wasserrillen, die Standplätze befinden sich aber dann doch wieder auf
bequemen Bändern. Danke Natur, dass du das so schön eingerichtet hast!
In der 26. Länge weist ein roter Pfeil ins Innere des Berges. Adis
Hinweis "große Rucksäcke schlüpfen nicht" bekommt plötzlich einen
Sinn: es heißt, sich in einen engen Felsspalt zu zwängen und durch ein
Loch die nach aussen hin leicht überhängende Passage zu überwinden. Da
hier aber auch kleine Rucksäcke nicht schlüpfen, wird selbiger
abgenommen, vor sich hergeschoben und am Lochausgang abgestellt, ehe
man selbst das Loch raufschlüpft. Etwas feuchter Lehm ist auch
vorhanden, damit es besser flutscht. Die Sohlen der Schuhe sind nach
dieser wirklich ungewöhnlichen und lustigen Stelle zwar
lehmverschmiert, aber die Rauheit des Felses erlaubt trotzdem ein
Weiterklettern.
Irgendwann gegen Mittag kommen wir auf der Schulter
des Nordgrats an und gönnen uns eine Pause. So ein schöner Platz, man
muss sich zwingen, weiterzugehen! Und es sind "nur" noch 7
Seillängen. Gerüchteweise sind diese aber noch einmal sehr schwer. Mit
dem nötigen Respekt schaffen wir den Gipfelaufbau aber ohne größere
Komplikationen und stehen schließlich um 14.30 am Ausstieg der Ende
Nie! Laut Wandbuch sind wir die 92. Seilschaft, die diese Tour
geklettert sind (wahrscheinlich haben alle übrigen Touren am Stoaberg
zusammengenommen noch nicht so viele Wiederholungen). Und wir lesen
auch: Roman Kernmaier, free solo in 2.5 Stunden. Der hat echt Mut -
und flotte Arme und Beine. Der gute Hermann überrascht uns am
Gipfelkreuz mit einer kleinen Flasche selbstgebranntem Obstler -
dessen Entnahme vom Schallner-Vater offiziell genehmigt wurde - und so
kann jeder von uns noch seine eigene kleine Fahne neben die
tibetischen Gebetsfahnen in den Wind hängen. Der Abstieg zu
Schmidt-Zabierow Hütte kommt uns lang vor, aber wir sind gelöst und
tief zufrieden.
Auf der Hütte angekommen werden wir von der lieben
Käthe ganz herzlich begrüßt und es ist keine Frage mehr, dass wir auf
der Hütte übernachten werden. Wir bedanken uns auf diesem Weg herzlich
bei ihr, nicht nur dass sie uns einen so warmen Empfang bereitet,
sondern mit Kaspressknödel, gerösteten Knödeln, Kaiserschmarrn,
Schiwasser, Radler, Bier und Wein wieder ins Leben zurückgeholt
hat. Danke! Was wir Wiederholern raten möchten? Nehmt Stocker Adis
Hinweise ernst. Man muss nicht unbedingt ein besonders guter Kletterer
sein, um auf diesem Weg auf das Breithorn zu gelangen, aber man darf
keinesfalls ein schlechter Kletterer sein, will man sich ins Wandbuch
eintragen. Sucht euch einen ruhigen Tag aus, genießt die
Umgebung. Steigt auf jeden Fall auf die Schmidt-Zabierow Hütte ab,
lasst es euch dort gut gehen und macht neue Erfahrungen (das Nirwana
ist kurz vorm Niederlegen näher als man denkt!) Macht euch nichts
daraus, wenn ihr immer nur nach der Zeit gefragt werdet, die ihr für
die Tour gebraucht habt. Nach "Ende Nie" steht ihr über so unwichtigen
Fakten. Und noch eine Bitte an alle zukünftigen Tage, die wir auf
diese oder eine ähnliche Weise verbringen werden:"Ende(t) Nie!"
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