Long-Schoat


Der Karabiner schnappt in den enormen, grün bemalten Torstahl-Bügel knapp unter dem Gipfelkreuz der Fleischbank und mit einem mal fällt die Anspannung der vergangenen 7 Stunden von mir ab. Ich ziehe das Seil ein und rufe Hans das Signal zum Nachkommen zu. Hans hängt noch etwa 30 Meter tiefer im Stand, den er sich mit Hilfe zweier Friends und eines Keils gebaut hat. Noch wenige Minuten zuvor stehe ich deswegen etwas nervös 2 Meter ober ihm in einem Riss und versuche, eine erste, verlässliche Zwischensicherung unterzubringen.
Gott sei Dank sind die beiden letzten Seillängen nicht sonderlich schwer, eigentlich sollte hier nichts mehr schiefgehen. Aber die Länge davor, die zweite des oberen Teils ab dem Grasband, hat mich noch einmal ordentlich Kraft gekostet und das Unterbringen von Keilen und Friends geistig und körperlich ermüdet. Sogar zum Sortieren des Materials sind Hans und ich bereits zu faul. Also bloß nicht leichtsinnig werden. Ich bin am Stand vor diesen 40 Metern, die mich zum letzten mal als Vorsteiger richtig fordern, froh um das Wissen, dass wir dem Ausstieg schon so nahe sind.
Hans hat den Stand auf halber Höhe einer unglaublichen Verschneidung eingerichtet; ein abgebundener Profilhaken markiert den Standplatz, der mit ein-zwei zusätzlichen Hilfsmitteln verbessert wird. Hans kennt das Material, an dem er nun mit seinem ganzen Gewicht hängt, besser als ich und scheint sich keine Gedanken über die Qualität des Standplatzes zu machen. Mir ist beim Anblick unserer Lebensversicherung eher zum Weinen. Hans kann sich aber hier mitten in dieser Verschneidung gut erholen, hat er doch die berüchtigte Cliff-Stelle vom Grasband weg soeben gemeistert.
Vier Meter exzellenter, geschlossener Kalk trennen ihn vom ersten Haken. Einen Cliff haben wir dabei und Hans platziert ihn an der einzigen Stelle, die dafür überhaupt in Frage kommt. Aber die Illusion einer Sicherung zerbröselt ebenso wie der Rand des Clifflochs, als Hans kurz an dem Stück gebogenen Stahls anzieht. Hans legt es zwei Zentimeter daneben auf etwas, das einen Rand zu haben scheint. Ein Wunder, dass der Cliff dort überhaupt liegen bleibt. Tut er eigentlich auch nicht: Hans gibt sich einen Ruck und stemmt sich hoch, erreicht die Reepschnur des Hakens, klinkt den erstbesten Karabiner, den er greifen kann, in dem Augenblick klimpert der Cliff auch schon zu mir herunter. Hans aber explodiert emotional, er hat seine Angst im Zaum gehalten und sich getraut, die Stelle zu klettern.
Viele, viele Minuten zuvor: die schwierige 8- Stelle habe ich mit Herzklopfen klettern können; am anderen Ende der Platte angekommen glaube ich mich schon am Ende der Schwierigkeiten und bin sogar bereit, auf Keile, Friends und Karabiner, auf die ich einfach vergessen habe, zu verzichten. Aber das ist Schwachsinn. Nachdem Hans das Material mittels einer improvisierten Seilbahn zu mir hochgeschickt hat, versuche ich mein Glück zuerst rechts. Die Hoffnung auf ein Weiterkommen verliert sich dort aber nach 2 Metern in einer haltlosen Platte. Ich weiß, wo ich hinwill, nämlich zur nächsten Möglichkeit, eine Sicherung unterzubringen, und die befindet sich weiter links. Nach etwa einer halben Stunde unschlüssigen Herumstehens entscheide ich mich dann doch für die direkte Variante - die sich wunderbar auflöst. In die Platte zu klettern wäre ganz bestimmt furchtbar ausgegangen, fünf Meter ober dem letzten, geschlagenen Haken. Hans ist zwar von dessen Qualität überzeugt, aber naja... Von den folgenden 7+ Piazmetern habe ich keine klare Erinnerung mehr. Ich weiß nur, dass die Versuche einen Friend irgendwo hinter die Schuppe zu klemmen mir das Herz bis zum Hals schlagen lassen - eigentlich möchte es bei den Ohren hinausspringen, so laut klopft es. Dass ich Hans an einem verwitterten Band, das durch zwei zweifingerdicke Sanduhren gefädelt ist, nachsichere, schockiert mich gar nicht so. Und Hans verliert auch kein Wort darüber...
Davor ist alles noch recht gemütlich. Hans kann sogar einen Klebehaken der Wiessner-Rossi in seinen Standplatzbau einbeziehen. Überhaupt ist die Quergangslänge bis dorthin kurz und einfach und die Zwischensicherungen kann Hans ganz lässig platzieren.
Auch die Seillänge davor ist zwar schwierig, aber der Fels in der vierten Seillänge so perfekt, dass direkt Klettergenuß aufkommt. Aber eigentlich wirklich locker bin ich in keiner Phase unserer Unternehmung, auch nicht in den leichteren Seillängen zu Beginn. Hans scheint in sich zu ruhen, aber ich bin mir nicht sicher, ob er nicht ebenso von der Zehenspitze bis in die Haarwurzeln hinauf angespannt ist. In der ersten, leicht brüchigen Seillänge schwärmt er sogar von der wundervollen Kletterei. Man merkt, er liebt die Fleischbank und all die Schrecken, die sie für Kletterer bereithält.

Ich liege in meinem Bett und versuche einzuschlafen. Long-schoat morgen früh um 6 Uhr, das darf ja wohl alles nicht wahr sein...

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