Begehung der Gelee Royale am Großen Ochsenhorn

Diese gewisse Nervosität ist wohl die Ursache, dass ich fünf Minuten vor Läuten des Weckers aufwache. Ein großer, langer Tag steht bevor, der uns an die Südseite der Loferer Steinberge auf das Große Ochsenhorn führen soll. In der Schmidt-Zabierow Hütte herrscht schon reger Betrieb, herrliches Wetter und milde Temperaturen haben an diesem Montag nicht nur Hias und mich hier herauf gelockt, Bergsteiger aus vieler Herren Länder schnüren schon die Schuhe, um früh auf einen der sonnenbeschienenen Gipfel zu gelangen. Wir bedanken uns bei Käthe für das gute Frühstück und nehmen bis zum Abend Abschied von unserer liebsten Hüttenwirtin. Die Angst, es könnte kalt werden, ist unbegründet - schon früh am morgen hat es 10 Grad Lufttemperatur. Und so stolpern wir über die ausgedehnte Karstfläche der Großen Wehrgrube und dem Rotschartl entgegen. Hias erwischt einen schlechten Start: er fädelt bei einer Latsche ein und zerreißt sich die fast neue, rote Kletterhose.
Hias am großen Grasfleck
Nach etwa einer Stunde und einem halben Liter Schweiß erreichen wir die Scharte, von der aus wir zum Einstieg der Gelee Royale absteigen. Der Fellerer Sand wird seinem Ruf auch im Abstieg gerecht, wir rutschen mehr oder weniger unkontrolliert auf dem Geröll nach unten, schaffen jedoch glücklich den Absprung auf den großen Grasfleck, der den Einstieg zu unserer Tour markiert. Im warmen Sonnenschein legen wir die Ausrüstung an, bevor wir in den Schatten der Westseite des unteren Teils der Gelee Royale eintauchen.
Hias startet als Erster und kommt bereits nach wenigen Metern zur Erkenntnis, dass die Gelee hart bewertet ist. Die erste Seillänge ist eigentlich ein Kunstwerk des Wassers, diesmal aber nicht rau und zerfressen, sondern eher glatt und mit kleinen Griffen. Der Schlüsselzug über die Platte erfordert herzhaftes Piazen und eine nicht zu geringe Körpergröße. Als Seilzweitem mit Rucksack gelingt mir die Stelle wohl nur Dank La Sportiva und hartem Sportklettertraining. Länge zwei der Route gestattet dafür entspanntes Klettern an großen Griffen... Hias in Länge 2
Hias in Länge 5 Die Schlüssellänge des unteren Teils der Tour wartet zunächst mit kleinen Griffen und abdrängender Wandkletterei auf, danach lassen einen herrlich athletische Meter an großen aber flachen Griffen laut jauchzen. Im Klettergarten eine 3-Stern Tour, hier "nur" ein Puzzlestück im Gesamtkunstwerk, von dem man sich freut, dass es auf Anhieb paßt. Verflixt, kann 7+ aber schwer sein!
Die fünfte Länge bringt unsere Seilschaft schließlich über herrlich modellierten, steilen Kalk an den Fuß der Gipfelrinne und in den sonnigen Teil der Gelee Royale. Hias, der wilde Hund, braucht für den 10 Meter Runout zum Stand lediglich eine Köpflschlinge. Er wird später noch einmal beweisen, dass er sich "nix scheißt".
Nach einer kurzen Verschnaufpause in der Gipfelrinne gehen wir den oberen, steilen Teil der Gelee Royale an. Zunächst führen zwei Plattenlängen zu einem Stand unter einem splittrigen Überhang. Der Seilzweite und Rucksackträger kommt hier noch einmal zum Genießen, bevor der Rucksack den Schwierigkeitsgrad der Tour um mindestens einen halben Grad erhöht. Das Anklettern des ersten Hakens in der 8. Seillänge erfordert Moral, denn der Fels ist nicht ganz solid und der Haken steckt doch recht hoch. Und in den Stand bzw. auf den Seilpartner mag man dann ja doch nicht drauffallen. Das Klicken des Schnappers beim Einhängen des Seils läßt dann sowohl bei mir als auch bei Hias den Puls wieder auf eine gewöhnliche Frequenz sinken. Der Rest dieser und die gesamte nächste Seillänge sind nicht gerade leicht, aber genußvoll und spannend. Hias in den Platten nach der Gipfelrinne
Auf dem Adlerhorst vor dem Quergang Zugegeben, an die Schlüsselstelle kann ich mich vom letzten Jahr noch erinnern. Trotzdem ist die Freude riesengroß, als ich mich am guten Griff links aussen anhalten kann. Die Schlüsselzüge im oberen achten Grad sind hart, besonders wenn sie erst in der 10. Seillänge kommen. Hier vorm Computer gibt's natürlich Zweifel, waren sie wirklich so schwer? War da nicht auch ein bißchen Angst und die Bewegungen einfach plump und ungeschickt? NEIN! Diese 4 Meter sind tatsächlich und einfach nur schwer!
Der abdrängende Bauch danach ist es auch, nicht nur, weil der Rucksack nach unten zieht. Mit den Füßen drückt man auf die Tritte zuerst unterm, dann überm Bauch, mit den Händen zieht man im Riss darüber. Und weil der Schuh nicht von den Tritten rutscht und die Finger brav gekrümmt bleiben, sitzen Hias und ich dann schließlich schön ausgesetzt in einer kleinen Nische und betrachten die beiden letzten schwierigen Seillängen, die unserem Standplatz praktisch gegenüber liegen.
Auch diese Längen gelingen frei und führen uns endlich in leichtes Gelände. Leichtes Gelände? Naja, 5+ und auf 20 Meter gerade ein Zwischenhaken sind eigentlich nicht gerade leicht. Aber der wilde Hund Hias ignoriert die Möglichkeit - und vor allem die Folgen! - eines Sturzes und klettert zielstrebig auf den Gipfelgrat. Leider finden wir die Dose mit dem Wandbuch leer vor, gern hätten wir gewußt, wer vor uns hier gestanden hat und gern hätten wir unsere Namen der Liste hinzugefügt.
Schließlich erreichen wir nach etwa 6 Stunden Kletterei den Gipfel des Großen Ochsenhorns. Welch herrlicher Ort, Stille, denn wir sind allein, und wie befreiend das Gefühl, wenn sich jegliche Anspannung, psychisch wie physisch, auflöst. An keinem Platz der Welt wär ich jetzt lieber als hier...
Am Gipfel des Großen Ochsenhorn
Wir genießen eine Zeitlang das warme Licht der Sonne (und die spärliche Jause, die im Rucksack Platz gefunden hat) eh wir uns an den beschwerlichen Abstieg zurück zur Schmidt-Zabierow Hütte machen. Eindreiviertel Stunden benötigen wir, bevor wir die Schwelle der Hütte überschreiten. Wie eine Oase in der Wüste kommt sie uns vor - und das ist sie ja tatsächlich in der Steinwüste des Loferer Steinbergs, die aber so wunderbare Juwelen wie eben die Gelee Royale birgt.

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