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Jedes Jahr im Oktober dieselbe Frage: welche Tour soll in's Jahresprogramm des Alpenvereins
für das Tourenprogramm des kommenden Jahres? Meine zugegeben bescheidene alpinistische Kompetenz
beschränkt sich ja auf das Sportklettern und einfache Skitouren. Womit kann man Kletterer denn anlocken, wenn
man selber keine Ahnung hat, wohin es eigentlich gehen soll?
Zunächst einmal mit einem un(miss)verständlichen italienischen Auflugsmotto und einer nur vagen Richtungsangabe,
der Rest würde sich dann im Lauf des Vereinsjahres schon ergeben. Das also ist der Grund, weshalb Antonia bei der
Ausschusssitzung im Herbst des Jahres 2010 "Divertimenti rocciosi", Sportklettern in Norditalien als
Führungstour des Sportkletterreferenten der Sektion Leogang in's Protokoll und später auch in das Jahresprogramm
meines Vereins aufnimmt.
Die Dolomiten sind ein weitgehend weisser Fleck in meiner Kletterlandkarte, aber mit die eindrücklichsten und
lustigsten Erinnerungen verbinden sich mit dieser Gebirgslandschaft: die zwei Besuche knapp hintereinander
in den Cinque Torri mit meiner damaligen "Kletter-Gang" und etwas später die spontane Fahrt zur "Skotonata galactica" in
der Fanesgruppe mit Arthur.
Speziell bei letzterer kommt mir immer wieder die Rückfahrt in Arthurs Lieferwagen in den Sinn, als wir erleichtert nach der
schönen und problemlosen Begehung unserer Route an der Cima Scotoni über das Grödnerjoch zurück Richtung Innsbruck
tuckerten: der Mund blieb mir quasi offen stehen beim Anblick von Sella, Cirspitzen und Langkofel im klaren, warmen
Licht des abendlichen Sonnenscheins. Weiß der Kuckuck, weshalb ich nie die Ausfahrt bei Klausen ins Val Gardena
genommen haben und immer zum Gardasee oder nach Finale Ligure gefahren sind.
Vielleicht wegen des unglaublichen Verkehrs, der sich - wir mittendrin - wie üblich über die Dolomitenpässe wälzt? Auf zwei
Autos verteilt, haben sich sechs Sportkletter-Tifosi mit auf die Reise gemacht und staunen mit mir über die schroffen
Felswände, die fast übergangslos aus sanften, grünen Almwiesen in die Höhe streben. Etliche Tage früher, am Tag der
Vorbesprechung, hat es ja für fast eine
Viertelstunde so ausgesehen, als müsste der Ausflug abgeblasen werden, da sich keine Interessierten in
der Leoganger Kletterhalle eingefunden haben, bis sich herausstellte, dass ich von den sehr wohl vorhandenen
Kletterbegeisterten irrtümlich im Vereinsheim in
Rosental vermutet wurde. Elisabeth, Karin und Moni treffen mich daher mit hängendem Kopf im Vorraum der
Halle an, als sie etwas verspätet
am vereinbarten Ort ankommen. Zusammen mit Evelyn und Kerstin, die sich telefonisch angemeldet haben, kommt das
"tres faciunt collegium" zur Anwendung, soll heissen, drei Mitfahrer braucht es, damit die Veranstaltung zustande kommt.
Überhaupt besteht die Möglichkeit eines Siebenten, denn vom Mich weiss ich aufgrund von drei Telefonaten
(Donnerstag, Freitag, Dienstag) dass er ebenfalls sehr, sehr gern mitfahren möchte,
er es allerdings erst Donnerstag Abend mit Bestimmtheit sagen kann, ob es sich ausgeht;
auf seinem Hof lässt ihn die Arbeit einfach nicht aus! Nun sitzt er, als zweiter Mann in Begleitung von fünf Damen,
im Ausflugsverkehr über die Dolomitenpässe neben mir am Beifahrersitz und freut sich über die vor ihm liegenden drei Klettertage.
Die ersten am Fels seit dem Frankenjura-Ausflug vor zwei Jahren.
Frea erreicht man quasi direkt vom Grödnerjoch aus; während die einen dem Pisciadu-Klettersteig zustreben, biegen wir nach wenigen
Metern vom Weg rechts ab und steigen leicht fallend zu den Platten am Fusse des Sella-Stocks ab. Die Schwärze der
Felsen verursacht zunächst Stirnrunzeln, da wir das üblicherweisse mit Nässe verbinden, aber es ist trockener, griffiger,
fester Kalk, steil und löchrig! Meine spontane Begeisterung wird jedoch nicht allgemein geteilt; ein Teil der Gruppe vertieft sich
ins Führerstudium und begibt sich auf die Suche nach weniger schroffen Wandpartien. Ich erinnere mich an meine eigene
Bekommenheit, früher, beim ersten Besuch eines neuen Klettergebiets...
Irgendwann, in einer Verschneidungstour, kommt Moni nicht mehr weiter und meint:"i kim nid weida, i bin total verklemmt!".
Allgemeines Gelächter. Später wird Mich das Wortspiel vervollkommnen:"Spreiz' aus, sei nid so verklemmt!"
Am späten Nachmittag ziehen ein paar Wolken über uns hinweg, trotzdem scheint die Sonne. Das hält die Wolken aber nicht
davon ab, einen kurzen Graupelschauer auf uns herab zu regnen. Die Gruppe nimmt's gelassen und klettert weiter.
In der Zwischenzeit hat sich bereits herumgesprochen, dass zuhause im Pinzgau ein rechtes Sauwetter Einzug gehalten hat,
sodass wir die paar Minuten Niederschlag gern in Kauf nehmen, und es wäre gelogen, würde ich sagen, dass ich mich nicht
insgeheim darüber freue, dass es sich hier auf über 2000 Meter Seehöhe in kurzen Hosen aushalten lässt, während daheim
die Schneefallgrenze langsam auf genau dieselbe Höhe sinkt.
Den Wunsch nach einem wilden Nachtlager irgendwo im Schigebiet der Sellaronda unter den Cirspitzen geben wir schließlich
aus Vernunftgründen auf
und fahren ziemlich spät nach Colfuschg hinunter auf den Campingplatz, um dort, wie Elisabeth es nennt, das "Nesterl zu bauen".
Dieses erledigt, geht es schließlich zu meinem persönlichen, zweiten Höhepunkt der Fahrt nach Italien: dem Pizza-Essen!
Der Samstag-Morgen beginnt mit zwei Beschwerden: Elisabeth, Karin und Moni beschweren sich bei Mich über das Schnarchen während
der Nacht, Mich beschwert sich bei Elisabeth, Karin und Moni über das Tratschen im Zelt am Morgen, selbstverständlich mit
einem Augenzwinkern. So verläuft das Frühstück unter dem strahlend blauen ladinischen Himmel sehr harmonisch, wenn man von
einem "boia!"-fluchenden, mit Schaltproblemen kämpfenden Teilnehmer eines Mountainbike-Rennens, das sich keine drei Meter
hinter unserem Rücken jenseits des Zauns des Campingplatzes abspielt, absieht. Der Frühstückstisch biegt sich förmlich unter
den biologischen Köstlichkeiten, die insbesondere von Moni und Mich aus den heimischen Gärten hierher transportiert wurden.
So gestärkt werfen wir uns wieder in den Autowahnsinn des Grödnerjochs, der seinen Höhepunkt erreicht, als ein
Reisebus vor uns im Bereich einer Haarnadelkurve auf einen entgegenkommenden italienischen Linienbus trifft. Durch die Panoramascheiben des
orangen italienischen Busses sehen wir den sonnenbebrillten Fahrer mit Gesten die Radfahrer und Motorradfahrer verwünschen,
die nicht warten wollen und sich durch die engen Lücken zwischen den Fahrzeugen zwängen. Irgendwie kommen die beiden
monströsen Fahrzeuge schließlich aneinander vorbei, und wir mit ihnen. Wir werden Gott sei Dank nicht mehr Zeugen des
Dramas, das sich kurz darauf wenige Meter hinter der folgenden Kurve abgespielt haben muss, wo bereits der nächste,
nichtsahnende deutsche Reisebus auf die Weiterfahrt nach Wolkenstein wartete.
In der Città dei sassi frieren wir. Das Wolkenband, das vom Langkofel über uns hinweg zieht, reisst nicht ab und verdunkelt
die Sonne. Der erste grosse Block ist landschaftlich ein kleines Paradies, allerdings weist die Wand nach Nordwest und der
Fels ist eiskalt. Die Mädels und Mich klettern zwar mit Leidenschaft, aber es ist ein Klettern, das Leiden schafft. So verziehen
wir uns also zu einem anderen Block in angenehmer Südlage, aber irgendwie scheint die Luft an diesem Tag bereits heraus zu
sein. Wir klettern noch ein bisschen und beschließen dann, den Tag nicht nur zum Klettern sondern auch zum sightseeing zu
nützen, indem wir die Rückreise nach Colfuschg über den Passo Pordoi und Arabba antreten. Trotzdem wir an diesem Samstag
recht gefroren haben (Schuld daran hatte übrigens der Nordföhn, der der Alpennordseite starken Regen und Abkühlung
beschert hat), hat ein jeder von uns am Abend dank der Höhenlage und UV-Strahlung eine äußerst gesunde Gesichtsfarbe.
Mich, der Charmeur, drückt dies den Mädels gegenüber etwas weniger prosaisch aus:"es hob's a rote Birn'".
Sonntag, 3.Juli 2011, ist "Radltag". Die Strassen rund um die Sella werden für den motorisierten Verkehr zwischen 8.30 und 16 Uhr
gesperrt, damit die Radfahrer, von denen es in dieser Gegend Massen gibt, ungestört über die Jöcher und Pässe strampeln können.
Für uns bedeutet das, dass wir noch vor der Strassensperre den Campingplatz verlassen müssen, um einen Klettergarten erreichen
zu können. Michs Wecker läutet um 6.40 Uhr, 20 Minuten früher als ausgemacht. In Wahrheit dürfte er Evelyns Bitte nach mehrmaligem
Wecken mittels einer nicht-vorhandenen "Slumber"-Funktion seines neuen Handys nachgekommen sein.
Ich drehe mich jedenfalls dankbar zur Seite, als ich des Gewinns von 20 weiteren Minuten Schlafs gewahr werde.
Wir schaffen es, rechtzeitig die Sperrzone zu verlassen, müssen dafür aber auf unser gemütliches Frühstück verzichten.
Auf der Terrasse eines Hotels in Stern tun wir uns dann dafür an caffè bzw. caffè latte und brioches gütlich, während wir
den nicht abreissenden Strom an "Radltag"-Teilnehmern, die Corvara zustreben, beobachten. Um unsere Kenntnis der Dolomitenpässe
zu vervollständigen, begeben wir uns an diesem Tag auf den Passo di Valparola; auch, um die bereits arg geschundenen Finger
und Kräfte zu schonen, denn der Klettergarten am Sass de Stria bietet wunderschöne Plattenkletterei in mittleren Graden.
Zwar weht auch hier der Wind, aber der Fels ist warm und der Platz geschützt, sodass uns dieser Ort das Frieren vom Vortag
vergessen macht. Es geht uns auch nichts ab, denn wir haben sämtliche Vorräte und auch das Kaffeegeschirr mitgebracht.
Die Atmosphäre ist jedenfalls motivierend, anders lässt es sich nicht erklären, dass am Ende des Tages Moni es auf 10 und Mich
auf 12 Kletterrouten gebracht haben werden. Sonne und Wind verlangen aber ebenfalls ihren Preis: am Montag morgen werde ich mich
so fühlen, wie Hermann Buhl auf dem berühmten Foto nach der Nanga Parbat Besteigung aussieht: von der Sonne ausgedörrt und mit
dicken, aufgesprungenen Lippen (jedoch ohne Hut und Bart.)
Erlebnisreiche Tage liegen hinter uns. Es ist der 7. Juli 2011 um 22.45, als ich diese Zeilen schreibe. Der Oktober kommt
schneller, als uns allen lieb ist, und damit auch die Planung eines neuen Tourenprogramms, das nach neuen Zielen verlangt.
Aber eigentlich ist es ja egal, wohin die Reise führt: was allein zählt, ist, wer auf den bevorstehenden Reisen unsere
Kompagnons sein werden (und ich hoffe, es mögen dies weiterhin Begleiter sein, wie ich sie in den Dolomiten stets
und auch diesmal wieder gehabt habe.)
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