Ç'est la vie

Westgratturm, Loferer Steinberge

Lieber Freund,

ich schreibe dir, um mich von diesen trüben Zeiten abzulenken, in denen es unaufhörlich regnet. Du hasst Sentimentalitäten, natürlich, aber in Wirklichkeit sind die nachfolgenden Zeilen, die gemeinsame Erinnerungen wachrufen, ohnehin für mich gedacht und du dienst mir als hervorragender Vorwand, um sie niederschreiben zu können.

Wir stehen auf
Kalk! Weißt du noch? Als damals plötzlich dieses Kamerateam auftauchte, das von einer Horde Menschen umringt wurde? Ich weiß nicht mehr, wer der „Local Hero“ war, um den sich da die Leute geschart haben; jedenfalls bist du in der Nachbartour diese schweren Züge mit der Zigarette im Mund ständig rauf und runtergeklettert - 8 mal, wenn ich mich nicht täusche - und hast böse Blicke des Stars geerntet. Und mein Beitrag war ein hellblaues „Think Pink“ Leibchen. Wahnsinn, waren wir damals lässig!
Kannst du dich noch an jenen wunderschönen Dezember-Tag erinnern, als ich dich überredet habe, klettern zu gehen? Es war warm und auf den Südseiten lag noch kein Schnee. Beide kannten wir den Berg nicht, und spät dran waren wir ausserdem. Wie schön war der Sonnenuntergang, als wir endlich am Gipfel ankamen und keine Ahnung vom Rückweg hatten. Mit den Turnpatschen sind wir auf dem gefrorenen Schnee über den Grat abgestiegen, bis wir in der Dunkelheit endgütig den Weg verloren und uns in den Latschen verirrt haben. Und unsere größte Sorge war, dass wegen uns die Bergrettung ausrücken würde. Start der
2.Seillänge
Die Platte nach
der Schlüsselstelle Denn nicht nur einmal sind wir dem 140er Notruf knapp entkommen. Du wirst den vorwurfsvollen Gesichtsausdruck auf dem Gesicht des Vaters bestimmt auch nicht vergessen haben, als wir fröhlich und noch immer ziemlich betrunken von der frischen Luft und den Weizenbieren in der Jägermeister-Hütte erst nach Einbruch der Dunkelheit von der „kurzen“ Schitour heimgekommen sind. Unverständnis für die Sorgen auf der eine, für unsere Sorglosigkeit auf der anderen Seite.
Trotzdem, gefährlich war es doch eigentlich nie, oder? Selbst als wir damals im strömenden Regen und bei kaltem Wind vom letzten Stand unserer Route abseilen mußten. Mit nichts als einem T-shirt bekleidet und die Finger so klamm, dass wir die Schraubkarabiner fast nicht mehr aufbekommen haben, hatten wir trotzdem nie das Gefühl, unser letztes Stündchen hätte geschlagen (nur einmal, da hab ich das Glöcklein bimmeln gehört, als uns am letzten Abseilstand fast die Seilenden abhanden gekommen wären.) Traumfels -
Herz, was willst du mehr?
Die letzten
Meter zum Gipfel Manchmal haben wir es natürlich schon übertrieben. Kein Mensch käme auf die Idee, nach 5 Stunden Zustieg noch klettern zu wollen. Aber schließlich waren wir schon einmal da, also haben wir uns über diese wunderschönen 8 Seillängen auch noch raufgekämpft. Beim Abseilen hingen wir beide dann irgendwann an einem einzelnen, nicht ganz neuen Bolt, war das grausig! Von dort weg ging's dann aber auf ein breites Grasband, war das schön! Nach der Kletterei waren unsere Vorräte natürlich alle schon verbraucht und wir immer noch furchtbar durstig und hungrig. Irgendwie haben wir den weiten Abstieg dann doch hinter uns gebracht, aber auch nur, weil du, Gott sei Dank, nicht das Schicksal einer rasenden Talfahrt mit dem Stein, den du ausgerissen hast, geteilt hast, und weil wir die Stirnlampen eingepackt haben (nie sind wir ohne sie ausgerückt, in diesem Sommer, und fast immer haben wir sie gebraucht!)
Du warst ein echtes Talent. Zu der Zeit, als ich es bereits auf einen gelben „Think Pink“ Sweater gebracht hatte, warst du immer noch mit deinen Tennis-Schuhen klettern und bist trotzdem den Einstieg mit der Reibungsstelle im sechsten Grad hinaufgekommen. Dass du dir Kletterpatschen gekauft und sie dann so schnell auch schon wieder an den Nagel gehängt hast, war schon eine traurige Sache... Adi
Adi & Ich Ich muß aufhören, die Sonne kommt zum Vorschein! Es ist wieder Zeit, Erlebnisse für die nassen, dunklen Tage zu sammeln. Für ein paar weitere Briefe ist noch Stoff genug da, aber was kommt danach? Vielleicht hast du demnächst einmal Zeit? Ich hätte da etwas ganz Besonderes im Auge. Ich kenne die Gegend nicht, du auch nicht, und es wird bestimmt einen schönen, warmen Tag im Dezember geben, an dem wir beide Zeit haben werden...

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